Netzwerkkommunikation im Internet
Ziel des Projektes ist die Erforschung grundlegender kommunikativer Muster der selbstorganisierten Wissensproduktion und -distribution in kollaborativen Online-Kommunikationen. Als Paradigmen dafür werden einerseits die so genannten Weblogs, ein im Internet sich ausbreitendes Phänomen einer nicht-organisierten Publizistik, sowie die Wikis als Beispiel für kollaborativ erstellte Open-Content-Enzyklopädien herangezogen.
Theoretisch zielt das Projekt auf eine Erweiterung des sprach- und medienwissenschaftlichen Kommunikationsbegriffs ab, der in beiden Disziplinen noch nicht netzwerk-orientiert fundiert ist. In Abgrenzung zu den an Foucault angelehnten linguistischen Diskursbegriffen, ist der dem Projekt zugrunde liegende Diskursbegriff handlungstheoretisch orientiert. Ausgehend von einer Theorie kollektiven Handelns werden konkrete Akteure mit spezifischen Interessen identifiziert, die nach bestimmten Handlungsmustern handeln, also informieren, erzählen, argumentieren, appellieren, Entwarnung geben, Maßnahmen empfehlen usw. Ein handlungstheoretischer Diskursbegriff ist auch anschlussfähig an makrostrukturelle Analysen, wie sie in der Soziologie und der Medienwissenschaft vorgeschlagen wurden. Während der sprachwissenschaftliche Diskursbegriff die mediale Seite von Diskursen nicht thematisiert, oder, wie die englische Diskursanalyse additiv aufschaltet, liegt der Schwerpunkt einer medienwissenschaftlichen Analyse gerade in der Integration von Diskursstrukturen und Medienstrukturen. Die medienwissenschaftlichen Ansätze zur Analyse von Online-Diskursen führen den Begriff des Netzwerkes in die Diskursanalyse ein und machen sie damit anschlussfähig für die angesichts des Internet wieder erstarkte Netzwerkforschung.
Grundlagentheoretisch geht es insofern darum, die für Face-to-Face-Kommunikation einerseits und Massenkommunikation andererseits bereits etablierten Beschreibungskategorien der Diskursdynamik und -strukturen, der Darstellungsformen, der Kohärenz, der Kommunikationsqualität, der Adressierung (insb. der Experten-Laien-Adressierung), der sprachlichen Form und der strategischen Prinzipien, für eine Anwendbarkeit auf internetbasierte Netzwerkkommunikationen zu erweitern. Dabei integriert das Projekt auf theoretischer und methodischer Ebene die Traditionen der handlungstheoretischen Diskursanalyse, der Hyperlink-Network-Analysis (HNA) und der Computer-mediated-Discourse-Analysis (CMDA) und entwickelt sie weiter zu einer netzwerk-orientierten Diskursanalyse kollaborativer Kommunikationsformen.
Methodisch betritt das Projekt insofern Neuland, als dass es die diskursanalytische Perspektive um das Konzept des Primär- und Sekundärdiskurses erweitert. Es werden sowohl Primärdiskurse der Wiki- und Weblog-Kommunikation untersucht, als auch Sekundärdiskurse, in denen die Teilnehmer an die Primärdiskurse mit bestimmten Handlungen wie Kommentaren oder Bewertungen anknüpfen und ihre Diskursperspektive thematisieren. Folgende Perspektiven auf Netzwerkkommunikationen werden im Rahmen der analytischen Betrachtung eingenommen:
- (1) Perspektive der Diskursdynamik (handlungsorientierte, sprachlich-rhetorische Analyse)
- (2) Perspektive der Netzwerkstrukturen (medienwissenschaftliche Verlinkungsanalyse)
- (3) Perspektive der Netzwerk-Gemeinschaft (mikrostrukturell-linguistische und makrostrukturell-medienwissenschaftliche Analyse)
In dem Projekt kommen Ansätze und ihre Methoden aller drei Analyseebenen zum Einsatz, werden aber zu einer integrativen Analysestrategie zusammengefasst. Die Berücksichtigung der drei Ebenen garantiert auch eine Theoriebildung, in der diskursive Mikrostrukturen und sozio-kulturelle Makrostrukturen in einen systematischen Zusammenhang gebracht werden können. Die gewählten Gegenstände der Wikis und Weblogs sind insofern für ein derartiges Forschungsprogramm geeignet, weil sie erstens vielfältige Diskurse konstituieren, zweitens eine dynamische Komponente haben, die auf Aktionen der einzelnen Diskursteilnehmer zurückzuführen sind, und drittens Netzwerkgemeinschaften konstituieren, die über die dazu geführten Metadiskurse (Diskussionsgruppen) zugänglich werden.